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Pectorale für zeitgenössische Herrscher

Pectorale

 

Pectorale sind die Brustketten pharaonischer Herrscherdynastien, die aus einer gebogenen goldenen Platte bestehen, welche über der Brust und den Schultern bis in den Nacken hinein wie ein körpernah geformtes Schild aufliegt. Verziert wurden diese Herrschaftszeichen mit landesüblichen Halbedelsteinen wie Türkis, Lapislazuli, Karneol, Malachit und Obsidian, die zumeist in runder oder ovaler Form eingelegt wurden, an zentralen Stellen aber auch zu Glückszeichen wie dem Skarabäuskäfer oder dem magischen Auge bearbeitet waren.

Da die Pharaonen mit lebenden Göttern gleichgesetzt wurden, galten sie als nahezu unfehlbar. Daher mussten sie sich dem von den Priestern festgesetzten Gesetz, der maat, unterwerfen; hierin findet man eine frühe Form der Gewaltenteilung, wie sie heute in modernen Demokratien wieder praktiziert wird. Auch die Steuer wurde nicht willkürlich vom Herrscher angesetzt, sondern jährlich von der Höhe der Nilüberschwemmung abhängig gemacht, was objektiv mit den Nilometern gemessen wurde. Die Pharaonen hatten fürsorglich für ihr Volk zu sorgen, und wenn dieses dennoch punktuell unzufrieden war, so musste der Pharao nicht nur den Missstand abstellen, sondern sich sogar persönlich entschuldigen. Dies berichtet der erste schriftlich niedergelegte Bericht über einen Streik im Tal der Arbeiter, der vor etwa 5000 Jahren in Theben-West stattfand.

 

Heute leben wir in demokratischen Zeiten. Dennoch verhalten sich unsere gewählten Herrscher bei weitem nicht so, dass es einem Pharao zur Ehre gereichen würde. Es finden sich Vorteilsnahme und Bestechung sowie Machtgier und Machtmissbrauch.

Verschwendungsverstöße und Sexskandale zieren die Aura mancher Potentaten und ziehen Politikverdrossenheit sowie Verachtung nach sich.

Die Herrscher sind von einem guten Landesvater oder gar von einer Gottgleichheit weiter entfernt als je zuvor.

 

Daher werden meine neuzeitlichen Pectorale, die ich exemplarisch einigen der aktuellen Negativherrscher widme, denn auch nicht aus edlem Material gearbeitet, sondern aus dem Abfall der Straßen: Rostmüll aller Art, Handy- und Diskettenteile, Kronenkorken und Autoteile, Dichtungen und Knöpfe wurden in pectoral-ähnlicher Manier auf Japanpapier zu einem nahezu symmetrischen Brustbogen arrangiert und darauf festgestickt. Während der Arbeit entdeckte ich, dass gerade diese zerbrochenen und zumeist von Autos plattgewalzten Bruchteile eine ganz eigene Ästhetik und Bedeutsamkeit entwickeln, wenn sie von ihrem eigentlichen profanen Zweck gelöst und mit Zerfallsspuren gezeichnet sind. Das Material wurde in Luxor, El Gourna, in Awamia und Deir El Medina aufgesammelt, gewaschen und sortiert und im Koffer exportiert.

So stammt das Material aus exakt derselben Region, in der die frühen Pectorale gefertigt und getragen wurden.

Meine Pectorale könnten Namen tragen wie „Bär Lusconi“, „Zar Kosy“, „Wladi Potin“; auch „Gov Faratsch“, „Musch Scharraf“ und „Imi Marcos“ könnten ein solches „Schmuckstück“ tragen. Sie stehen aber nur beispielhaft für viele andere große und kleine Herrscher, denen der eigentliche Sinn des Herrschens und Teilens in einer Welt der Raffgier und der Kälte dort oben an der Spitze einer Gemeinschaft auf der Stufenleiter ihrer Karriere verlorengegangen ist.