Assamblagen
Rasterfahndung
RASTERFAHNDUNG
Die Assamblage-Bildfolge „Rasterfahndung“ thematisiert ein aktuell diskutiertes Thema: im Focus der Fahnder steht die Herausfilterung von Personen, die aufgrund zuvor ausgewählter Merkmale in Verdacht geraten, kriminelle oder terroristische Aktivitäten zu entfalten. So sind Geschlecht, Alter, Ethnik oder Ausbildungsgang marginale Daten, um im Vorgaberaster hängen zu bleiben. Ein aktuelles fiktives Beispiel: männlich, um die 30 Jahre alt, arabischer Herkunft oder Aussehens, Studium der Technik, Luftfahrt oder Politologie.
Geht man in der Geschichte zurück, ändern sich die Merkmale: im Deutschen Herbst waren auch Pastorentöchter im Visier der Fahnder, in der Nazizeit alle „nicht-arischen“ Personen, und schließlich kurz nach Christi Geburt alle antirömischen, aufwieglerische Reden führenden „Auffälliggewordenen“: Jesus kann Beispiel sein für ein frühes Opfer von Rasterfahndung oder Ausspionierung, die nicht erst eine Erfindung der STASI war.
Mit dem eigenen Alterungsprozeß änderte sich bei mir selbst der Grund, warum mein Pass bei Grenzgängen häufig nicht nur kontrolliert, sondern auch sicherheitshalber kopiert wurde: in den 68er Jahren bei Fahrten in die UDSSR, die Tschechei oder nach Frankreich, heute aber bei Flügen nach Ägypten. Je mehr Stempel der Pass in sich trägt, desto verdächtiger die Person…
Daher verwende ich für die Serie als Collageteile die herausgelösten Seiten meiner abgelaufenen Pässe mit den übereinandergestempelten kyrillischen oder arabischen Dokumentationen meiner Grenzübertritte und Reisedaten. Diese wurden auf passgrünem Grund mit weiteren themenverweisenden Collageteilen kombiniert: Stadtpläne, fremdländisch anmutende Personengruppen, anonyme Orte, starrende Augen und verweisende Textzeilen.
In einer zweiten Schicht liegt ein weißes Rechteckraster über den Bildteilen. Es sind die Ränder unserer selbstklebenden Postwertzeichen, die ein gezahntes Raster hinterlassen, wenn die Marken herausgelöst wurden.
Über diese collagierten Ebenen wird ein engmaschiges Grafiknetz gestickt: diagonale oder rechtwinklige Schraffierungen heben „No-go-Aereas“ hervor, Pfeile weisen auf vermutete Verstecke hin, Linien bilden fischernetzartige Strukturen: das Fahndungsnetz zieht sich immer enger…
Ein weiteres Raster ergibt sich durch die Zwischenräume der acht Bildteile zu einem Block aus zwei mal vier Einzelbildern in einem Gesamtrahmen. Das Netz wird erweitert zu einem fiktiven „Schwarzen Brett“, wie es auch beim BKA an der Wand hängen könnte.
Die Farbdissonanzen der Komposition drücken die Zwiespältigkeit aus, mit welcher ich dem orwellschen Phänomen des Beobachtet-Werdens begegne: einerseits möchte ich vor Anschlägen geschützt sein, andererseits aber nur ungern selbst „gerastert“ werden.
- Irmingard Stelter -