Erzählungen aus 2001 Nacht
Tagebuchaufzeichnungen aus Luxor
ISBN 978-38391-7226-1
14,90€
Leseprobe
Gilla und ich sind im Schaffensrausch: Ich male, wie immer, und sie fotografiert, listig mit einer spiegelblanken Glasscheibe, in der sie immer zwei Blicke gleichzeitig einfangen kann: Den frontalen durch die Scheibe hindurch und den rückwärtigen, schräg nach hinten über die Schulter. Wo entweder die Gaffer stehen oder schwarzverhüllte Frauen nichtsahnend sitzen. Wo Eselskarren heranzockeln oder lebende Welse sich zuckend auf Korianderblättchen winden, kurz wo das passiert, was die Ägypter nicht unbedingt knipsen lassen wollen.
Das aber erfordert einiges an Logistik: Das Stativ zum Festschrauben der Scheibe muss mitgeschleppt und aufgestellt, die Scheibe staubfrei gewischt die Fotografin vor Anrempelungen und lästigen Fragern geschützt werden. Und sie braucht Ansagen, welches Motiv von hinten ankommt und bildkompositorisch interessant sein könnte. Diesen Part übernehme ich. Gleich beim ersten Versuch im Palmenhain hinter unserem Viertel versage ich kläglich.
All mein Erklären, Bitten und später auch Schimpfen und Fluchen nutzt nichts: Heerscharen von barfüßigen Kindern weichen nicht, die Bakschisch-Hände werden bloß mehr, und alle Landschaftsmotive sind durch die Kinderhorden verstellt. Wir geben auf und versuchen es am anderen Morgen ganz früh ab sechs Uhr im Karnak-Tempel. Der ist um diese Uhrzeit noch total leer, bei bestem Fotolicht. Zwar sind die Wächter skeptisch, ob das irgendwie mit Spionage einhergeht, was wir da machen, aber nach der faustdicken Lüge, das Glas sei nur ein Spezialfilter für bessere Bildbrillanz, lassen sie Gilla in Ruhe. Nur ein versprengter Amerikaner durchschaut im Wortsinn den Fotografentrick.
Mutiger geworden begeben wir uns später am Tag ins Marktgetümmel der Medina-El-Menora-Gasse, und siehe da: Man hält uns für arbeitende Profis und lässt uns in Ruhe. Da entstehen so schöne Bilder wie: Moschee in Damendessous gespiegelt, Fische in Kapokballen hineinprojiziert oder Eselskarren durchqueren Wasserpfeifenraucher im Coffeeshop.
Zuhause auf der Dachterrasse ist es noch ruhiger: Da kann Gilla Nachbarn oder Minarette in die Satellitenschüsseln hineinspiegeln, was sie ausgiebig nutzt. Was aber auch Nachbar Arkan auf den Plan ruft. Der schreibt gerade an seiner zweiten Doktorarbeit und hat dafür etliche Abbildungen aus Archäologiewälzern heraus fotographiert, die Gilla doch bitte abends mal kurz bearbeiten möchte.
Aus kurz wird lang, und seine Fotos sind so schlecht, dass die Hieroglyphen teilweise nicht zu entziffern sind. Also verhandeln beide über einen kleinen Fotografier-Auftrag, der am Folgetag im CHICAGO-HOUSE stattfindet. Das ist eine gesponserte amerikanische Bibliothek für Archäologen und Doktoranden, der Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Nachdem Arkan für uns eine schriftliche Genehmigung geholt hat, dürfen wir dort mit hinein und den Duft alter Bücher atmen, während Arkan umständlich seine Liste abarbeitet, aus welchen Wälzern er welche Seiten zur Abbildung braucht. In dieser Zeit schleichen wir mäuschenleise über die Flure und betrachten alte Fotos aus frühen archäologischen Zeiten, die den Hauch des noch jungfräulichen Luxors deutlich zu uns herüberwehen. Wir schauen in wunderbare Bildbände, alle alt und im Handel nicht mehr verfügbar, und schließlich durchwandern wir noch den Park, bis Arkan uns hereinwinkt.
Die Folianten werden aufgeschlagen, das Stativ ins beste Licht gerückt, die Seiten so an den Ecken beschwert, dass sie einigermaßen eben liegen. Es werden um die 150 Aufnahmen, die noch alle nachkorrigiert werden müssen, um sie optimal schattenfrei ausdrucken zu können. Gilla arbeitet das an den nächsten Abenden gewissenhaft aus, bis ihr die Augen brennen. Ihr Lohn ist ägyptisch: Pro Bild 2 LE, zahlt Arkan insgesamt 300 LE für eine Arbeit, die hier dasselbe oder mehr in Euro gekostet hätte. Das weiß er auch, also verspricht er uns andere Gegenleistungen, die Gilla sich wünscht: Ein Besuch im Privathaus von Howard Carter, dem Entdecker des Grabes von Tut-Ench-Amun, das aber für Besucher nicht geöffnet ist.
Einige Tage später schickt er uns also zum Leiter der Antiquitätenverwaltung auf der Westbank. Der residiere in einem Haus hinter den Memnon-Kolossen, wisse Bescheid und habe zugesagt, uns einen Führer mitsamt dem nötigen Schlüssel zu beschaffen. Arkan selbst ist wieder im Job als Guide unterwegs und kann nicht mit. Das ist nicht schlimm für uns, denn wenn er dabei wäre, würde er uns sowieso die Ohren abkauen …
Also machen wir uns zu den Memnon-Statuen auf, finden dahinter aber keine Verwaltung, sondern bloß eine Ausgrabungsbaustelle, von der man uns vehement verscheuchen will. Ich versuche zu erklären, dass wir mit Chief Omar verabredet sind, aber man zuckt bloß die Schultern. Also rufe ich Arkan per Handy an, und jetzt sagt er, die Verwaltung sei doch weiter oben, am Ticketoffice, warum wir das nicht wüssten?
Nun ja, seine Ortsbeschreibungen waren auch schon mal genauer, stöhnen wir auf dem langen Fußweg dorthin. Dann landen wir schließlich in dem Chief-Büro vor dem Schreibtisch eines äußerst ungnädig und hochmütig herab blickenden Antikenverwalters, der erst mal so tut, als wüsste er von nichts. Doch als ich wieder bei Arkan anrufen will, winkt er ab, ihm sei nun doch wieder eingefallen, dass wir zu Carter dürften, wegen Arkan. Wenn es denn unbedingt sein muss, bei so hartnäckigen Weibern …